Die Krumptänzerin Lucia Matzke absolvierte 2021 ihr Masterstudium in Religion und Kultur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen ihrer Masterarbeit forschte sie im Nordirak zum Thema inter-ethnisch-religiöser Verständigung und „Social Cohesion in Ninewa“. Seit einigen Jahren arbeitet Matzke als freiberufliche Tänzerin und Tanzpädagogin. Sie unterrichtet Kinder und Jugendliche in Hip-Hop und Krump, unter anderem im motion*s Tanz- und Bewegungsstudio, in Zusammenarbeit mit Seitenwechsel e. V. sowie im Rahmen der TanzZeit Jugend Company. Darüber hinaus ist sie ein aktives Mitglied der Berlin Krump-Community und organisiert Events zur Vernetzung der urbanen Tanzszene (urbandanceberlin). Zukünftig möchte sie eigene Tanz-Austauschprojekte entwickeln, die ihre beiden Leidenschaften miteinander vereinen: Tanzen und den interkulturellen Austausch.
Lucia ist maßgeblich am Projekt „Dance on Boards“ beteiligt, einem kostenlosen Tanz-Skate Projekt für Berliner Schulen. Seit 2022 arbeitet sie als „associated artist“ im Rahmen des Projektes „RECONNECT PARTICIPATIVE DANCE- CONNECTING COMMUNITIES“ mit Aktion Tanz e.V. zusammen.
Kontakt: lucia [dot] matzke [at] gmail [dot] com
EINBLICKE IN DIE PRAXIS von Lucia Matzke
„Historische Kontinuitäten im Krump“ – ein Workshop über Krump als widerständige Tanzkultur
„Historische Kontinuitäten im Krump“ – ein Workshop über Krump als widerständige Tanzkultur im Rahmen vom „Grundlagentraining zu Wahrnehmung, Haltung und Handlung an der Schnittstelle Tanzvermittlung/politische Bildung“ des dancing* politics 2022 Modellprogramm vom Bundesverband für Tanz in Bildung und Gesellschaft Aktion Tanz e.V. in Kooperation mit der Werkstatt Diversität.
Tanzkulturen und ihr Ursprung in Widerstandsbewegungen
Das dancing* politics 2022 Modellprogramm wurde von Fanny Kulisch, Georgina Philp, Danja Erni und Ebru Altıntaş konzipiert und richtet sich vor allem an Tänzer*innen und Tanzschaffende sowie an Personen aus der Politischen Bildung. Das Grundlagentraining vom 01.-03.07.22 wurde entwickelt, um in die Arbeit zu Ungleichheitsverhältnissen in der tänzerischen und politischen Bildung einzuführen. Die Teilnehmenden haben sich hierzu u.a. mit der Bedeutung von „culture“ und „community“, sowie mit Perspektiven widerständiger Tanzkulturen auseinandergesetzt.
Teil des Trainings waren zwei Tanz-Workshops zu Krump und Voguing und Ballroom – beides Tanzkulturen, die aus Widerstandsbewegungen gegen Rassismus und Diskriminierung entstanden sind.
Methodik und Aufbau
Ich, Lucia Matzke, war gemeinsam mit meiner Tanz-Kollegin Iman Gele für den Krump-Workshop verantwortlich. Im Rahmen des Workshops wollten wir gemeinsam, sowohl die Geschichte und die Kultur, die Krump ausmacht, beleuchten, als auch in die Bewegung und Grundlagen von Krump eintauchen. Beginnend mit ein paar Videobeispielen, in denen die Mitbegründer*innen von Krump zu Wort kommen und über ihre Lebensrealitäten sprechen und inwiefern diese sie zu Krump führten, haben wir im ersten Teil des Workshops die geschichtlichen Hintergründe von Krump behandelt und besprochen. Anschließend gab es eine praktisch- tänzerische Einführung in die Basics (Grundschritte) von Krump und die Bedeutungen hinter den Bewegungen. Die Teilnehmenden konnten anschließend die erlernten Basics selbst nochmal vertiefen und nachspüren, welche Emotionen beim Ausführen der Bewegungen freigesetzt werden. Da Krump ein Freestyle-Tanz ist beendeten wir den Bewegungsteil mit einer großen Session, wo jede*r Teilnehmer*in in die Mitte gehen konnte, um ihren Tanz mit der Gruppe zu teilen. Die Zuschauenden feuerten die Person an (in Krump wird das „Hype“ genannt). Hierbei ging es nicht um das Präsentieren der besten Moves, sondern um das Erleben einer Session, den Energieaustausch und die gegenseitige Unterstützung.
Der Workshop endete mit einer Abschlussrunde, in der alle Beteiligten ihre Eindrücke und Erfahrungen teilen konnten und wir gemeinsam überlegten, an welchen Schnittstellen wir Krump als Tanzform mit politischer Bildung verorten.
Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise – K.R.U.M.P.
Krump ist ein sehr junger urbaner Tanzstil, der noch nicht sehr bekannt ist, aber bereits weltweit junge Menschen verbindet, die in Tanz ein Ventil, ein Ausdrucksmittel und eine Support-Struktur und Community gefunden haben, die ihnen hilft mit alltäglichen Lasten fertig zu werden.
Krump kommt von der Straße, genauer genommen aus L.A. Etwa 2002 schlossen sich junge Tänzer*innen zusammen, die ein Ventil für die Emotionen suchen, die sich ansammeln, wenn man in einem von sozialer Ungleichheit, Gewalt und Rassismus geprägten Alltag aufwächst. Sie erschufen gemeinsam einen neuen Stil: KRUMP.
Themen wie „Empowerment“ (Selbstermächtigung), Selbstreflektion, die Auseinandersetzung mit sich und den eigenen Emotionen, Austausch und die gegenseitige Unterstützung und Zusammenhalt sind wichtige Elemente aus der Krump-Kultur. Gleichzeitig sind es Themen, die vor allem in der diskriminierungskritischen politischen Bildungsarbeit eine zentrale Rolle spielen.
Mit diesem Praxisprojekt sollten die Potenziale von Krump und dessen Strategien und Praktiken beleuchtet und mit den teilnehmenden Tänzer*innen und Aktivist*innen und Trainer*innen der Politischen Bildungsarbeit diskutiert werden.
Themen wie Rassismus und andere Formen der Diskriminierung waren zentral in meinem Studium (B. A. in Kultur- und Sozialwissenschaften, M. A. in Religion und Kultur). In meiner künstlerischen Praxis und kulturellen Bildungsarbeit wollte und will ich weiterhin Projekte entwickeln, die das Potenzial von Tanz nutzen, Menschen zusammenzubringen.
Dieser Workshop ist ein weiterer Schritt in diese berufliche Ausrichtung. Darüber hinaus ist es mein Ziel, Krump und dessen Potenziale mehr und mehr Sichtbarkeit in der Vermittlungsszene und der Kunst- und Kulturlandschaft zu verschaffen.
Ich will Meer
„Ich will Meer“ – ein Tanztheaterprojekt, initiiert von Seitenwechsel e. V., gefördert von CHANCEtanz
Ziel des Projekts war die Vernetzung von 10- bis 14-jährigen Mädchen aus drei verschiedenen Jugend-Freizeiteinrichtungen sowie die Vermittlung von Tanz, Theater und Bühnenpräsenz. An mehreren Workshop-Wochenenden lernten die Mädchen intensiv tanzen und entwickelten auf einer Proben-Reise an die Ostsee ein eigenes Tanztheaterstück. Das Oberthema „Ich will Meer“ stand zwar fest, aber die Inhalte der einzelnen Szenen kamen von den Mädchen selbst. Wir, die Tanzdozentinnen und Choreografinnen, setzten uns mit Themen auseinander, die die Mädchen beschäftigten, zum Beispiel Mobbing in der Schule. Das 30-minütige Stück wurde den Eltern, Bekannten und Verwandten am Ende auf einer richtigen Bühne präsentiert.
Was haben Sie aus diesem Projekt für Ihre künstlerische Arbeit mitgenommen?
Tanz bietet facettenreiche Möglichkeiten des individuellen Ausdrucks. Dieses Projekt hat mir gezeigt, wie jede Teilnehmerin auf ihre eigene Art und Weise neue Fähigkeiten entwickelte, sowohl im Tanzen als auch persönlich, die zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins führten. Gerade im Hip-Hop und im Krump gibt es genug Raum, sodass jede:r ihren:seinen Platz finden kann. Durch solche Projekte bekommen Menschen, die sich das sonst eventuell nicht leisten könnten, Zugang zum Werkzeug Tanz als individuelle Ausdrucksform,.
Welches Thema taucht in Ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder auf?
In meinem Studium (B. A. in Kultur- und Sozialwissenschaften, M. A. in Religion und Kultur) habe ich mich intensiv mit Themen wie Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung auseinandergesetzt. Mich hat immer interessiert, wie und wieso Menschen Feindbilder erschaffen und sich von den vermeintlich „anderen“ abgrenzen wollen. Ich wollte Möglichkeiten finden, solchen Prozessen entgegenzuwirken. In der Kunst, vor allem im Tanz sehe ich das Potenzial dazu. In meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich viel mit den positiven Wirkungsweisen von Tanz.
Was möchten Sie mit Ihrer kulturellen Bildungsarbeit bewirken?
Tanz verbindet, Tanz ist Verständigung (Körpersprache) und das schafft eine Plattform, auf der gesellschaftliche Grenzen aufgebrochen werden können. Ich möchte mit meiner kulturellen Bildungsarbeit Projekte entwickeln, die das Potenzial von Tanz nutzen. Ich möchte mit Tanzprojekten jungen Menschen und Erwachsenen helfen, Vorurteile oder Feindbilder zu dekonstruieren. Ich glaube, dass Krump auch Menschen erreichen kann, die sonst eher wenig Teilhabe an Kunst und Kultur haben und gleichzeitig viel mehr – beispielsweise in die Rassismus-Debatten – involviert werden sollten.
Was macht für Sie eine künstlerische Intervention in der Kulturellen Bildung aus?
Kunst bietet immer sehr viel Spielraum. Als Tänzerin kann ich mich immer wieder neu erfinden und so befinde ich mich in einer permanenten Auseinandersetzung mit mir selbst. Kunst als Medium zu nutzen, sich mit gewissen Themen der Kulturellen Bildung auseinanderzusetzen, erschafft unzählige Zugänge und Möglichkeiten, diese Themen zu betrachten. Dieser Spielraum für mögliche individuelle Entfaltung macht für mich eine künstlerische Intervention in der Kulturellen Bildung aus. Jede:r kann selbst entscheiden, wie intensiv sie:er sich mit dem Thema auseinandersetzt.