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Gudrun Ingratubun

© Eunae Anna Jo

Gudrun Ingratubun ist Pflanzendruck- und Buchkünstlerin sowie Literaturübersetzerin aus dem Indonesischen. Sie hat Landwirtschaft und Anglistik studiert und sieben Jahre in Tansania, Großbritannien und Indonesien gelebt. In Jakarta und Berlin hat sie Buchprojekte mit Kindern initiiert. In ihrer eigenen Kunstpraxis druckt sie mit Blättern und Blüten, experimentiert mit pflanzlichen Farbbädern, Tinten und Druckpasten auf Papier und Stoff. So dokumentiert sie kollektive Prozesse aus pflanzlicher Perspektive und stellt sie menschlichen Einflüssen gegenüber. Außerdem entwirft und baut sie gemeinschaftlich Hochbeetbänke im öffentlichen Raum. Ihre Arbeiten wurden im Prinzessinnengarten, im Organ kritischer Kunst (OKK) und im bauhaus reuse Pavillon in Berlin ausgestellt.

Kontakt: https://www.l-y-w.art/

 

 

 

EINBLICKE IN DIE PRAXIS von Gudrun Ingratubun

„Planetarische Dialogräume auf der documenta fifteen“

Empathie zwischen Arten – den anthropozentrischen Blick auf die Welt überwinden

Das indonesische Kuratorenkollektiv der documenta fifteen, ruangrupa, hat Lumbung zur zentralen künstlerischen Praxis für diese Ausstellung erklärt. Lumbung steht im wörtlichen Sinne für eine kollektive Reisscheune, einen Ort, an dem der Teil der Ernte aufbewahrt wird, der über den eigenen Bedarf hinaus geht. Im weiteren Sinne geht es um das Teilen von Ressourcen jeglicher Art, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, solidarisch zu sein. Lumbung ist ein ästhetisches aber auch ökonomisches Model, was sich auch als soziale Alternative zum konventionellen Kunstmarkt versteht. Für die kollektive Zusammenarbeit hat ruangrupa Werte wie Humor, Transparenz, lokale Verankerung, Unabhängigkeit, Regeneration, Großzügigkeit und Genügsamkeit formuliert. 

© Gudrun Ingratubun

 

Ich wollte diese Ideen in einem kollektiven Prozess mit Besuchenden sichtbar – erfahrbar machen und mit meiner eigenen künstlerischen Praxis verbinden. Dabei geht es mir um die ästhetische Erfahrung der von Bruno Latour beschriebenen NaturKultur, sich insbesondere in die Perspektive von Pflanzen hineinzufühlen, um die für unser Klima und unser Zusammenleben so bedrohliche anthropozentrische und ichbezogene Sichtweise zu überwinden – sich auf den Weg zu machen, wie von Dipesh Chakrabarty formuliert, planetarisch zu denken, allen Daseinsformen auf unserem Planeten dieselbe Wichtigkeit beizumessen. Für das Projekt des planetarischen Dialograums habe ich rurukids, ruangrupas Initiative für kreative Projekte mit Kindern und Jugendlichen, als Kooperationspartner gewählt. Rurukids hatte den sehr prominenten Ort im linken Flügel des Erdgeschosses im Fridericianum und wurde auch von vielen Erwachsenen besucht.

Drei Nongkrong Bänke und ein Baumstamm

Das gemeinschaftliche Bauen von drei Hochbeetbänken – mit Bereichen zum Sitzen für Menschen, zum Wachsen und Gedeihen für Pflanzen, Insekten und Mikroorganismen und zum Kompostieren soll einen Dialog auf Augenhöhe zwischen den beteiligten Spezies ermöglichen. Als Material für die Bänke habe ich in der Werkstatt und im Außenbereich des Fridericianums Paletten und Altholz zusammengesucht, dicke Bambusstangen von Britto Arts Trust an der Documenta Halle, Zuckerrohrfasern von einem Rohrzuckersaftverkaufsstand, Komposterde aus der Karlsaue und Pflanzen von Britto Arts Trust, Kassler BürgerInnen und dem Brachland der Umgebung. So konnte der Bereich hinter der Rückenlehne der Bank bepflanzt werden. Die aufgestellten Bambusstangen symbolisieren den Wald, den wir so dringend als Lebensquelle benötigen und dienen gleichzeitig Pflanzen als Rankehilfe und zum Anbringen von visueller oder textlicher Kommunikation. Unter der Bank ist Platz, um Grünmaterial aus dem Beet gleich vor Ort zu kompostieren.

Der Bau der Nongkrong Bänke war für die erste Juliwoche 2022 mit einer 8. Klasse einer Gesamtschule geplant. Da die Lehrerin kurzfristig abgesagt hat, wurde improvisiert. An zwei Vormittagen hat eine Studierendengruppe eifrig mitgebaut, an den folgenden Tagen haben sowohl Besuchende der Documenta als auch Passant:innen auf dem Friedrichsplatz mit Hand angelegt. Ein älterer Herr, ein quirliger Junge, Mädchen in Sonntagskleidchen und viele mehr haben sich gegenseitig beim Schrauben und Sägen unterstützt.

Die Projektidee folgt dem ecological turn, denn Fragen der Ökologie sind in allen Lebensbereichen und somit auch in der Kunstvermittlung von zunehmend größerer Bedeutung. Künstlerisches Denken und Handeln wurde von den Teilnehmenden praktiziert und von vielen Ausstellungsbesuchenden wahrgenommen. Daraus sind häufig intensive Gespräche entstanden. Kunst als Tun. Die Idee der Konstruktion hatte ich entwickelt, aber in der Ausgestaltung mit den vorhandenen Materialien waren die Teilnehmenden sehr frei. So sind durch Serendipität unerwartete Lösungen entstanden.

Mit einem Sonnensegel haben wir die drei Nongkrong Bänke an dem sehr sonnigen Standort neben dem Portikus des Fridericianums verbunden und so angeordnet, dass sie zum Gespräch einladen. In den Beeten haben wir nach und nach Tomaten, Okra und Auberginen, Kalebassen und Physalis, Sauerampfer, Brennnesseln und Goldrute gepflanzt – eine Mischung aus Heilpflanzen und Gemüse. Außerdem wurde ein Baumstamm, den das kolumbianische Kollektiv Mas Arte Mas Accion als nicht-menschlichen Teilnehmer zur New Rural Agenda im Fridericianum mitgebracht hatte, Teil des Ensembles – als Aufforderung unser Verhältnis zu Bäumen stärker im Blick zu haben.

Die Bänke tragen den Namen Nongkrong. Das Wort kommt auch aus dem Indonesischen und steht für entspanntes Zusammensitzen ohne konkretes Ziel. Ein bewusster Akt, sich dem vorherrschenden Effizienzdenken zu entziehen. So entstehen Freund:innenschaften und kreative Ideen. Die Bänke wurden von den unterschiedlichsten Menschen genutzt, auch am späteren Abend noch von Jugendlichen oder einem Obdachlosen.

Nach dem Ende der Documenta hat die Stadt Witzenhausen die drei Nongkrong Bänke und den nichtmenschlichen Gesprächspartner erworben. Sie stehen jetzt an der Werrabrücke und der Baumstamm weist auf den zunehmend entwaldeten Hügel im Hintergrund. Gleich nach dem Aufstellen haben sich Leute auf den Bänken niedergelassen. Sie werden Teil des Projekts kinderfreundliche Stadt. Die Jugendlichen des Städtchens hatten sich ohnehin an dieser Stelle Sitzgelegenheiten gewünscht.

Lumbung of Leaves, ein kollektiver Ecoprint auf Stoff

Ein poetischer Dialog unter Blättern und vielleicht auch mit uns entspinnt sich in dem Projekt „Lumbung of leaves“. Dieses folgt eher dem Verfahren der ästhetischen Forschung. Dabei wurden Gegenstände, die Teilnehmende interessieren, in diesem Falle Blätter, auf dem Friedrichsplatz gesammelt und achtsam wahrgenommen. Es entstand ein reger Austausch über die Vielfalt der Formen und Strukturen der Blätter. Die vor Ort gesammelten Blätter und die von dem Kollektiv Taring Padi aus Indonesien mitgebrachten Blätter wurden auf einer 1,0 * 1,5 m Stoffbahn angeordnet – immer wieder verschoben, bis die Komposition den Kindern, die an diesem Nachmittag im rurukids space waren, gefiel. Mit einer weiteren Stoffbahn wurden die Blätter abgedeckt, die Stoffe gefaltet und um ein Stück Besenstiel gewickelt, bevor die entstandene Rolle in einem Topf mit Blauholzsud geköchelt wurde. Den Kindern konnten kaum die Kochzeit abwarten, um endlich zu sehen, wie die Blätter sich durch dieses Ecoprintverfahren auf den Stoff übertragen hatten. Der Druck wurde in ein Fenster unmittelbar hinter den Nongkrong Bänken gehängt und wehte häufig im Wind. Die Blätter der Beuys Eichen vom Friedrichsplatz haben sich in einem intensiven Violett abgedruckt, im Hintergrund die riesigen Teakholzblätter aus Yogyakarta.

 

Kalle Hochbeete, 2021

© Claudia Jahnke

Nach der Projektvorstellung beim Ideen-Forum Nachhaltige Stadt im bauhaus reuse Pavillon haben wir auf einem Berliner Innenstadtplatz in einer gemeinschaftlichen Aktion mit Nachbarn und Menschen, die spontan dazugekommen sind, aus alten Fußbodendielen und Palettenbrettern Hochbeetbänke gebaut. In den Beeten sind naturbelassene Robinienpfähle verankert, die eine Illusion von Wald schaffen, aber auch als Rankhilfe oder zum Anhängen von Objekten dienen. So haben wir Sitzgelegenheiten in einem Halbrund geschaffen, zur Begrünung des Platzes beigetragen, gemeinschaftliches Gärtnern und mehr Kommunikation in der Nachbarschaft ermöglicht, auch über das kontroverse Thema der Verkehrsberuhigung. Außerdem können an diesem neuen Ort Ausstellungen und Workshops stattfinden.

Was haben Sie aus diesem Projekt für Ihre künstlerische Arbeit mitgenommen?

Durch den Bau der Hochbeetbänke für die Gemeinschaft mit bekannten und vorher unbekannten Menschen ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden, das auch Nicht-Beteiligte spüren. Die Bänke sind fast immer besetzt und werden achtsam behandelt. Die Hochbeetbänke schaffen die Möglichkeit zum Dialog, der insbesondere in dieser Pandemie fehlt.

Welches Thema taucht in Ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder auf?

Die Auseinandersetzung mit der Natur als Sehnsuchtsort, aber auch als Ort der rücksichtslosen Zerstörung, wenn der Mensch seine Bedürfnisse über die aller anderen Lebewesen stellt.

Was möchten Sie mit Ihrer kulturellen Bildungsarbeit bewirken?

Ich möchte bewirken, dass die Teilnehmenden die Welt ein kleine bisschen mit anderen Augen sehen, Pflanzen als Lebewesen spüren, die Formen der Bäume und ihrer Blätter bewusster wahrnehmen und dadurch achtsamer mit der Natur umgehen. Außerdem möchte ich bewirken, dass die Teilnehmenden sich selbst bewusster wahrnehmen, zu mehr Ruhe finden und dies künstlerisch ausdrücken.

Was macht für Sie eine künstlerische Intervention in der Kulturellen Bildung aus?

Sie ermöglicht überraschende ästhetische Erfahrungen, rüttelt auf, lässt uns Dinge hinterfragen und zeigt im besten Fall Lösungen auf. Sie bringt Menschen ins Gespräch.