Kristina Veit absolvierte ihr Diplom als Bühnentänzerin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. Nach vier Jahren Theaterengagements in Linz und St. Gallen begann sie 2005 freischaffend mit Kompanien in Dänemark, Spanien und Uruguay zu arbeiten. 2009 wurde Frankfurt am Main zu ihrer Homebase. Im selben Jahr gründete Veit ID_Frankfurt e. V., 2012 folgte das Z, Zentrum für Proben und Forschung. Seit 2013 kreiert sie ihre eigenen Arbeiten mit dem Künstlerinnen-Duo ravvina/veit. Veit arbeitet seit 2010 kontinuierlich im Bereich der ästhetischen Bildung in Grund- und Realschulen, Integrierten Gesamtschulen und einer Förderschule. 2017/2018 arbeitete sie im Bereich Konzeption und Durchführung in der Weiterbildung für Förderschullehrer:innen in Bayern, gefördert durch die Stiftung Kunst und Natur gGmbH.
EINBLICKE IN DIE PRAXIS von Kristina Veit
Abschlussprojekt: „IN:SIGHT“ im Rahmen des Tanzkongresses 2022
© Andreas Etter
Eine Veranstaltung der Kulturstiftung des Bundes
In Kooperation mit dem Staatstheater Mainz
Unterstützt durch das Goethe-Institut
Modul Co-Creating with Communities [Leitung Marina Grün & Felix Berner]
Durchführung des IN:SIGHT I Projektes Kristina Veit & Victoria Söntgen
Teilnehmer:innen I 10 Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren
Projekt-Kontext
tanzmainz und das Staatstheater Mainz richteten im Sommer 2022 die 6. Ausgabe des Tanzkongresses unter der Leitung von Honne Dohrmann und der Dramaturgie von Ingrida Gerbutavičiūtė unter dem Titel Sharing Potentials aus. Der Tanzkongress bietet eine Plattform zum Austausch und Update der aktuellen Szene. Er widmet sich allen professionellen Bereichen des Tanzes, Tänzer:innen, Dramaturg:innen, Choreograf:innen, Manager:innen etc. im Festengagement an Institutionen und Häusern sowie Freischaffende mit der Betonung auf professionell. Natürlich gibt es auch in diesem Rahmen Programmpunkte wie Vorstellungen und Outdoor Events, die für alle Interessierten zugänglich sind, jedoch sind die Workshop Formate, Panels und Vorträge nur für Akkreditierte.
Unter dem Titel IN:SIGHT sollte nun einer Gruppe von tanzinteressierten Jugendlichen der Kongress zugänglich gemacht werden. Der Gedanke war jungen Menschen, die an Tanz interessiert sind, selber tanzen, vielleicht durch Tanzschulen oder Jugendclubs schon an Projekten teilgenommen haben, die Möglichkeit zu bieten, die Themenfelder der aktuellen und sehr diversen professionellen Tanzszene mitzuerleben in Workshops und Diskussionsformaten und somit Teilnahme, Teilhabe und Austausch zu ermöglichen.
Für das IN:SIGHT Projekt im Rahmen des Tanzkongresses gab es eine Kollaboration mit dem Studiengang MA CoDE (Master of Contemporary Dance Education unter der Leitung von Professor Ingo Diehl mit im Team Susanne Triebel).
Methodische Vorgehensweise
Pro Kongresstag gaben Studierende eine Workshopklasse unter dem Titel in:sight physical explorations. Dies war der einzige Workshop, der von vornherein die Jugendlichen mitdachte und wie eine Art wiederkehrender Ankerpunkt im Trubel des Kongresses fungierte. Hierzu fanden vor dem Kongress bereits ein Kennenlerntreffen mit den Jugendlichen und den Studierenden statt, so dass man sich begegnen kann und an den Kongresstagen ein paar bekannte Gesichter wiedertrifft.
Ein weiterer im Vorfeld gesetzter Programmpunkt war der Workshop THE CITY WAS MADE FOR FAST FEET mit Darren O´Donnel, einem städtischen Kulturplaner und dem künstlerischen Leiter von Mammalian Diving Reflex. Seit 2005 kreiert er Performances in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen und hat dafür verschiedene Methoden entwickelt.
Für die restlichen freien Zeitfenster konnten sich die Jugendlichen in Workshops, Panels oder Diskussionsformate selbst einwählen. Am Ende des Tages traf sich die Gruppe und besprach und reflektierte den Tag und das Erlebte. Aus dieser Reflexion heraus entschied die Gruppe gemeinsam welche Eindrücke und Ideen in Form von Fotos und Videos festgehalten werden und am folgenden Morgen in der Akkreditierungshalle des Tanzkongresses gezeigt werden (so wurde an einem tag entschieden in die Stadt zu gehen und einen Ort zu finden, wo der Schatten einer Bewegung gut sichtbar ist, die Person selbst aber unsichtbar bleibt. Jede Teilnehmerin drückte dann über Bewegung ihr eindrücklichsten Moment des Tages aus.) Die Videos sind unter folgendem link einzusehen:
https://tanzkongress2022.de/program/insight-physical-exploration
Fazit
In diesem Projekt war für mich das Ziel, den Muskel des Reflektierens über Bewegung, neue Ansätze und Kontexte zu trainieren. Es machte mir große Freude zu beobachten, wie durch den gesamten Zeitraum unseres Projektes die Jugendlichen sich veränderten, offener und direkter wurden. Das oft wiederholte Angebot, ihre Meinung zu äußern, dem mutigen Nachfragen und Hinterfragen Ausdruck zu verleihen, nahm mit der Zeit immer mehr Gestalt an. Eine weitere Veränderung war in den Jüngeren zu beobachten, die sich noch beim KICK OFF schwer taten, die offenen Improvisations-Aufgaben als Tanz anzusehen und nun zum Abschluss meinten, diese in:sight physical explorations hätten ihnen am meisten gebracht und Spaß gemacht.
Die anderen meldeten uns zurück, dass sie es genossen haben außerhalb der Schule Englisch zu sprechen, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zu tanzen, zu reden, ihre Meinung zu sagen und selbst nach ihrer Meinung gefragt zu werden; Bewegung unter anderen Gesichtspunkten anzuschauen und auszuführen („sie muss nicht immer schön sein“).
Für mich waren diese Rückmeldungen und vor allem, dass sie dieses selbst in Worte fassen konnten, sehr wichtig. Denn alles in Allem war es über einen kurzen Zeitraum wahnsinnig viel Information, Menschen, Eindrücke, Empfindungen, Ortswechsel und sehr lange Tage mit nur einem Ruhepol an Reflexionszeit. Doch unsere Planung ging auf und jede/r einzelne Teilnehmer:in der Gruppe ließ sich auf die gemeinsamen und auf ihre eigenen Erfahrungen ein und ging bereichert aus dem Projekt heraus.
Zeitlicher Ablauf
14.5 11:00-14:00h Kick OFF Veranstaltung mit MA CoDE im Staatstheater Mainz
03.6 16:30-21:00h Planung Workshops, Vorstellungsbesuch von tanzmainz
16.6 15:30-19:00h TANZKONGRESS
17.6 10:30-19:00h TANZKONGRESS
18.6 09:00-19:00h TANZKONGRESS
19.6 10:00-17:30h TANZKONGRESS
Weiterführung
Es wäre durchaus möglich IN:SIGHT als ein Modell zu sehen, fachfremde Menschen an Festivals, Kongresse oder ähnliche Formate heranzuführen und Teilhabe zu ermöglichen. Wichtig hierbei ist die genaue Planung im Vorfeld welche Aktivitäten finden gemeinsam statt und setzten Ankerpunkte und wo ist der Freiraum zur eigenen Einwahl oder Auswahl von Programmpunkten. Die gemeinsame Zusammenkunft am Ende eines Tages und der Austausch über das Erlebte in regelmäßigen Abständen ist von großer Wichtigkeit, da hier Widerstände, Unverständlichkeiten sowie Momente der Begeisterung und Enthusiasmus offengelegt werden und für alle erfahrbar werden. Sollte eine Art Format der Präsentation an die Öffentlichkeit angedacht sein, ist das Mitspracherecht der Beteiligten und deren Einflussnahme auf die Gestaltung wichtig.
X-Welten
Ein Jahr lang, für einen Tag pro Woche, setzten sich fünf Künstler:innen aus Musik, Tanz, Bildender Kunst und Schauspiel und etwa 35 Schüler:innen der Jahrgangsstufen fünf, sechs und sieben mit dem Thema X-Welten auseinander. Es gab eine Orientierungsphase, in der alle die Disziplinen kennenlernten, um sich dann für eine Kunstsparte entscheiden zu können. So kamen in den folgenden Wochen Fragen zu Schwerkraft und Schwerelosigkeit auf. Welche Gesetzmäßigkeiten könnte es noch geben? Was verändert unsere Wahrnehmung? Wann sieht Bewegung befremdlich aus? Reicht ein Perspektivwechsel dafür aus? Das Projekt mündete in einer Aufführung für die Schulgemeinde, die durch das Schulgebäude reiste und die unterschiedlichsten Welten entdecken konnte.
Was haben Sie aus diesem Projekt für Ihre künstlerische Arbeit mitgenommen?
Dass der künstlerische Prozess oft mit Fragen beginnt und diese nicht unbedingt im Laufe des Prozesses weniger werden. Einige Fragen werden vielleicht eine Antwort finden, und andere haben genau die Stärke und Kraft, dass man sie nie beantworten darf.
Welches Thema taucht in Ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder auf?
Die Frage nach dem Raum oder der unmittelbaren Umgebung, einhergehend mit einem sich in Beziehung setzen, beschäftigte mich in meiner künstlerischen Arbeit in den vergangenen Jahren. Die Verhandlung mit dem, was mich an Architektur, Objekten oder Körpern umgibt.
Was möchten Sie mit Ihrer kulturellen Bildungsarbeit bewirken?
Im besten Fall erhoffe ich mir, dass die Teilnehmer:innen eine Erweiterung der Möglichkeiten erhalten, um den Körper einzusetzen und spielerisch ihre Ausdrucksformen frei zu wählen. Ich wünsche mir, dass ein Vertrauen in und der Mut zu eigenen Ideen und kreativen Impulsen geschaffen wird, sodass die Hemmschwelle sinkt, selbst erfinderischer zu werden und die Ideen in Tat, Ausdruck, Form und Bewegung umzusetzen.
Was macht für Sie eine künstlerische Intervention in der Kulturellen Bildung aus?
Eine künstlerische Intervention in der Kulturellen Bildung hat für mich zunächst mit einer Unterbrechung zu tun. Es ist eine Möglichkeit, aus dem Bekannten und eventuell Automatisierten herauszutreten und eine Erfahrung zu machen, die vielleicht neu, ungewohnt und anders ist. Das eigene Erfahrungsfeld wird dadurch erweitert.